Predigten

P. Marco Voigt Predigt zu Jesaja 55,1-5, Predigt zum Abschied von Marco Voigt aus Nienburg

Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Es klingt so, als würden unsere Kirchenkaffeedamen uns eine Erfrischung anbieten. Und wer würde da nicht zugreifen an einem so heißen Tag wie heute?! Vielleicht werden wir diesen Satz ja nach dem Gottesdienst wirklich von ihnen hören?!

Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Doch als erste haben ihn nicht unsere Damen gesagt. Der erste war Jesaja. Er ruft diesen Satz Menschen zu, die durstig sind. Durstig an Leib und Seele. Denn sie haben lange Zeit nichts Labendes und Wohltuendes bekommen. Weder für ihren Körper, noch für ihren Geist. Und darum sind auch ihre Seelen ausgetrocknet. Sie sind fern der Heimat. Seit Jahrzehnten schon. Die Babylonier haben sie in ein fremdes Land verschleppt. Ein Land, in dem sie schief angesehen werden. Sie sind und bleiben „die Anderen“, denn sie haben einen anderen Glauben. Glauben nur an den einen Gott. Und immer wieder hört man aus ihren Hütten „Maria, ihm schmeckt’s nicht!“, denn beim Essen und Trinken, da sind sie auch sehr eigen. „Koscher“ soll immer alles sein. Das, was es auf dem schönsten Wochenmarkt im Alten Orient zu kaufen gibt, das schmeckt den Israeliten nicht. Dieses pappige Zeug macht einfach nicht satt. Und darum ist mit den Israeliten nicht gut Kirschen essen. Denn wer das Essen nicht mag und wer seinen Glauben nicht so leben kann, wie er will, der ist körperlich und geistlich unterzuckert. Und das macht bekanntlich ganz schlechte Laune. Da kommt Jesaja gerade recht. Er spricht das aus, worauf die Israeliten lange gewartet haben:

Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Liebe geht durch den Magen. Gott weiß das. Und weil Gott sein Volk liebt, soll es bald wieder essen können wie Gott in Frankreich und sich nicht länger mit der bekanntermaßen unterdurchschnittlichen babylonischen Küche zufrieden geben müssen. Und weil Gott es sich leisten kann, soll die Party die Israeliten noch nicht einmal etwas kosten! Also, wenn das kein Angebot ist! Aber Gott ist noch nicht fertig. Denn „der Mensch lebt nicht vom Brot allein…“. Und so fährt Gott fort: Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben. Siehe, ich habe ihn (David) den Völkern zum Zeugen bestellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter. Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat. Nach dem großen Essen kommt also Gottes noch größere Verheißung:

Höret, so werdet ihr leben! Gott spricht Worte des Lebens. Nicht allein ein König wie David ist es wert, dass Gott einen Bund mit ihm schließt, sondern jeder, und sei er noch so klein. Und diese Worte strahlen aus: Denn plötzlich wollen Menschen diesen Gott kennenlernen, der so etwas sagt. Sie werden neugierig, was es mit so einem liebenden Gott auf sich hat, der solche Versprechen gibt, der Bünde schließt, dem jeder einzelne Mensch wichtig ist. Ich selber habe das erleben dürfen – Tag für Tag in den letzten zehn Jahren hier in Nienburg. Menschen wollen diesen Gott kennenlernen: Eltern wollen ihr Kind auf seinen Namen taufen lassen, Kinder wollen mit ihm im Kindergottesdienst spielen, Jugendliche wollen ihren Glauben bestärken und sich konfirmieren lassen (und heute sind sogar 100% der Konfirmanden von St. Michael anwesend; das finde ich ganz toll)1, Menschen jeden Alters kommen zu den Lighthouse-Gottesdiensten, und Menschen jeden Alters wollen davon hören, dass es mehr gibt als das, was wir machen oder kaufen können. Vielen wird das angesichts des Todes bei einer Beerdigung ganz stark bewusst. Menschen wollen diesen Gott kennenlernen. Denn ich glaube: Menschen brauchen diesen Gott. Und ich glaube, dass die Welt uns als Gottes Volk braucht. Menschen, die öffentlich sagen: „Für uns ist Leben retten kein Verbrechen, sondern Christenpflicht. Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt!“2 Menschen, die das sagen, und Menschen, die danach handeln. „Höret, so werdet ihr leben!“, sagt Gott, und manchmal ist es so einfach, ein Leben zu retten. Es braucht nur ein Schiff und guten Willen. Zehn Jahre lang war ich nun Pastor hier in St. Michael und in St. Martin. Es war meine Aufgabe, Gottes frohe Botschaft zu verkündigen. Im Rückblick eine wunderbare Zeit, in der ich unzählige wunderbare Menschen kennenlernen durfte. Viele Menschen habe ich ein Stück ihres Lebens begleitet. Eine Zeit, für die ich Ihnen, Euch und Gott „Danke“ sage. 1 Es sind in diesem Jahr nur zwei. 2 Pn. Sandra Bils beim Schlussgottesdienst des DEKT am vergangenen Sonntag. Nun aber ist es Zeit aufzubrechen. Weg von Europas schönstem Wochenmarkt und weg von der Küche der Mittelweser, die nicht zuletzt dank ihres Spargels, der Pellkartoffeln und der Suppen überdurchschnittlich ist. Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst… Dieser Satz trifft nun auf mich zu. Denn wer mir in Zukunft zuhören wird, das weiß ich nicht. Es werden Menschen am Radio sein, die ich nicht sehen kann und von denen ich die allermeisten niemals kennenlernen werde. Obwohl… Wenn ich Jesajas Worte ernst nehme und ihnen Glauben schenke (und das will ich ja tun), dann muss ich mich auf einiges gefasst machen. Denn Jesaja endet mit der wunderbaren Verheißung: Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.

Okay! Aber: Bitte nicht alle auf einmal!

Pfingstrosen
Pfingstrosen

Pfingstmontag 2019

Josy
Josy ist schon fünf. Fünf dreiviertel, um genau zu sein. Bald kommt sie in die Schule. Neulich im Kindergarten hat die Erzieherin von Gott und von Jesus erzählt. Josy findet Jesus cool. Jesus mag Kinder. Er hat sie zu sich gerufen, als die Jünger sie schon wegschicken wollten, und hat sie gesegnet. Manchmal träumt Josy davon, eines von diesen Kindern zu sein. Das muss doch toll sein – gesegnet werden!
Als die Erzieherin gefragt hat, wer denn eigentlich getauft ist, gingen etliche Zeigefinger nach oben. Der von Josy aber nicht. Sie solle das einmal selbst entscheiden, haben ihre Eltern mal gesagt. Heute beim Abendbrot will Josy das machen – sie will ihre Eltern fragen. Denn bei der Taufe wird sie gesegnet. Das weiß Josy. Und dann gehört sie so richtig mit dazu. Zu Jesus und zu Gott.
Sophie und Anna, ihre besten Freundinnen, haben ihr mal erzählt, dass Gott schon ganz alt ist und einen langen weißen Bart hat. Dass er vom Himmel auf uns schaut und dass er die bösen Kinder bestraft. Josy hat sich da gefragt, ob die beiden Gott vielleicht mit dem Weihnachtsmann verwechseln. Aber das hat sie dann nicht gesagt. Schließlich sind Sophie und Anna ja ihre besten Freundinnen. Aber dennoch weiß Josy es besser als die beiden: Gott ist immer bei ihr. In ihrem Herzen.
Er schaut nicht von oben herab und wartet, bis sie etwas falsch macht, wofür er sie dann bestrafen kann. Nein, Gott ist immer da. In ihr drin. Manchmal fühlt sie sich ganz warm, beschützt und geborgen. Und dann weiß sie in ihrem Herzen: Gott ist jetzt da.
Max
Max ist schon vierzehn. Vor vier Wochen erst war seine Konfirmation. Das war ein tolles Gefühl, an den Altar zu treten und dort niederzuknien. Max hat sich das vorher gar nicht so vorstellen können. Man muss es einfach selber erleben! Die Hände des Pastors auf seinem Kopf und dann diese Worte: „…Schutz und Schirm vor allem Bösen, Stärke und Hilfe zu allem Guten…“. Da haben Max richtig die Knie gezittert. Das wird er nicht mehr vergessen. Die anderen aus der Gruppe haben am nächsten Tag in der Schule davon erzählt, wie viel Geld sie geschenkt bekommen haben und was sie sich nun alles davon kaufen wollen. Max hat sich natürlich auch über die Geschenke gefreut, aber gewundert hat er sich dann doch: Ging es denn nur ihm allein so mit den zittrigen Knien und den Segensworten, die er nicht mehr aus dem Kopf bekommt?
Er hat sich dann gar nicht mehr getraut zu sagen, dass er das doch viel wichtiger findet als das Geld und die Geschenke. Aber in seinem Inneren weiß er es ja. Das ist das wichtigste.
Gestern Abend hat seine kleine Schwester beim Abendbrot gesagt, dass sie gern getauft werden möchte. Max musste sofort über’s ganze Gesicht grinsen, und dann hat er gesagt: „Dafür brauchst Du aber auch einen Taufpaten, Josy. Darf ich das sein? Ich kann das jetzt. Ich kann Dir alles erklären, was Du über Gott und die Kirche wissen willst.“ Und da hat auch Josy gegrinst und Ja gesagt.
Gertrud
Seit letztem Freitag liegt Gertrud im Krankenhaus. Und sie weiß, dass es nicht wieder besser werden wird. Ihre beiden Enkel haben das zwar gesagt, als sie sie im Krankenhaus besucht haben: „Oma, du wirst wieder gesund“. Und die Kleine hat sogar hinzugefügt, dass sie für sie beten will. Gertrud wollte nicht weinen. Und darum hat sie gesagt: „Das mach‘ mal, Josylein. Dann bin ich hoffentlich bald raus aus dem Krankenhaus und komme wieder zu Euch nach Hause. Aber selbst dann, wenn ich nicht wieder gesund werden sollte – nach Hause komme ich dann auch.“
Josy und Max sind dann in die Cafeteria gegangen, um ein Eis zu essen, und da hat Max es seiner Schwester erklärt: „Oma hat Krebs. Sie meint, dass sie vielleicht daran stirbt. Aber dann geht sie nach Hause zu Gott.“
Gertrud hat oft auf das Kreuz geschaut. Immer hatte es bei ihr zu Hause gehangen. Und als sie ins Krankenhaus kam, hat sie es schnell mitgenommen. Für alle Fälle. So manches Stoßgebet hat sie schon davor gesprochen. Ein erleichtertes Danke, als ihre Enkel geboren wurden. Ein ängstliches Bitte, als ihre Tochter einen Autounfall hatte. Und als sie verzweifelt war – vor fünf Jahren, als ihr Mann ganz plötzlich starb. Und nun ist das Kreuz bei ihr, und Gertrud schaut auf Jesus, der daran hängt.
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ hatte er damals am Kreuz geschrien. Und manch einer hier im Krankenhaus fühlt sich auch einsam und gottverlassen. Das weiß Gertrud genau. Doch bei ihr ist das anders. Sie weiß, dass Gott immer da ist. Immer wieder kann sie ihn spüren. Dafür ist sie sehr dankbar. Und wenn es nun so sein soll, dass dies hier ihre letzte Station ist, dann kann sie auch das annehmen. Denn alles kommt aus Gottes Hand, daran glaubt sie fest. Und Gertrud spürt, wie sich eine große Ruhe in ihr ausbreitet.
Josy, Max, Gertrud und Petrus
Josy, Max und Gertrud, drei Menschen in drei verschiedenen Lebenslagen. Jeder der drei spürt Gott in seinem Leben. Josy fühlt sich von Gott beschützt und geborgen. Max entdeckt eine neue Aufgabe für sich. Er will seiner Schwester etwas von dem weitergeben, was er selber über Gott erfahren hat. Und Gertrud darf am Ende ihres Lebens eine wohltuende Ruhe erleben. Alle drei sind Menschen wie Du und ich. Sie erfahren, dass andere Menschen Gott nicht immer so erleben, wie die drei es tun. Josy und Max wundern sich noch darüber. Gertrud wundert sich nicht mehr. Sie weiß, dass Gott unverfügbar ist. Gottes Heiliger Geist weht, wo er will. Gertrud erlebt es jedes Mal als ein Geschenk, wenn Gott ihr nahe ist. Keiner der drei ist perfekt, keiner ein Held des Glaubens. Josy und Max trauen sich nicht, ihren Freunden zu widersprechen. Aber ich glaube, das erwartet Gott auch nicht von ihnen.
Nicht einmal die Jünger von Jesus waren Glaubenshelden. Obwohl sie Jesus sogar begleitet und erlebt haben, was er bewirkt, haben manche doch an ihm gezweifelt. Obwohl Jesus einen Sturm gestillt und Dämonen ausgetrieben hat, haben manche sich dennoch gefürchtet.
Und einer von ihnen, Petrus, hätte eigentlich viel von Jesus lernen können, z.B. Demut. Aber auch er hat sich immer wieder überschätzt, und im entscheidenden Moment hat er versagt. Als Jesus ihn auf dem See Genezareth zu sich ruft, geht er sofort los – über das Wasser! Doch dann kommen die Zweifel, sein Glaube schwindet, und er sinkt ein. Im Garten Gethsemane schläft er ein, obwohl Jesus zu ihm gesagt hat: „Bleibe wach und bete für mich.“ Und bevor der Hahn kräht, verleugnet er Jesus dreimal. Als sein Freund Jesus zum Tode verurteilt wird, stiehlt Petrus sich heimlich davon. Wahrlich kein Glaubensheld!
Doch gerade diese Menschen sind es, mit denen Gott sein Reich auf Erden baut. Menschen, die nicht perfekt sind, die aber trotz allem auf Gott vertrauen. Die ihr Herz am rechten Fleck haben. Die offen sind für andere Menschen und für Gott. Die Gott spüren können, weil sie darauf hören, was Gott ihnen zuflüstert. Menschen wie sie sind der Fels, auf dem unsere Kirche steht. So sagt es Gott heute zu uns. So sagt es Jesus zu Petrus.
Petrus
Jesus kam in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei?
Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten. Jesus sprach zu ihnen: Wer sagt denn ihr, dass ich sei?
Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!
Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen... (Mt 16,13-18a)

P. Marco Voigt, Predigt zu Mt 16,13-18a

Playmobil-Martin-Luther
Playmobilfigur Martin Luther

Martin Luther hat Euch begleitet - Predigt zur Konfirmation vom 23.4.2017

Lieber Konfirmandinnen und Konfirmanden,

liebe Inessa, liebe Giuliana, liebe Lia, liebe Jasmin, liebe Lilly, liebe Jensine, lieber Julien und lieber Jeremy,

fast hätte ich Euch nicht wiedererkannt, so verändert seht Ihr an diesem Morgen aus:

Anzug statt Kapuzen-Pulli, Kleid statt Jeans, schwarze – und bei einigen sogar hochhackige – Schuhe statt Sneaker. Ihr habt Euch verändert.

Aus Jugendlichen, die mit einem Bein noch in der Kindheit stecken (und sich manchmal auch noch so benommen haben J ), sind Jugendliche geworden, die nur noch einen Schritt vom Erwachsen-Sein entfernt sind.

Heute jedenfalls seht Ihr mehr nach Erwachsenen als nach Kindern aus. Und wie professionell Ihr in die Kirche eingezogen seid – das sah schon richtig gut aus. Fast so, als hätten wir es geübt. J

Aus Kindern sind Leute geworden. Und das in kurzer Zeit. Es kommt mir fast so vor, als wäre es gestern gewesen, doch es ist nun schon über ein Jahr her, dass Ihr Euch zum Konfirmandenunterricht angemeldet habt. Und dann ging es los:

Ein prall angefülltes Jahr mit monatlichen Treffen: Wir haben zunächst uns gegenseitig besser kennengelernt. Dann unsere Kirche St. Michael. Wir haben uns mit dem Gottesdienst und dem Kirchenjahr, mit der Bibel und mit dem Gesangbuch beschäftigt. Jesus war natürlich unser Thema, dann die Taufe und das Abendmahl.

Wir waren miteinander auf großer Fahrt in ein kleines Dorf: Hanstedt I – mit einer supernetten Hausgemeinde, aber schlechtem Handyempfang, mit leckerem Essen, aber geschütztem W-LAN-Passwort und einem Edeka-Laden, in den immer nur drei zur gleichen Zeit hinein durften. Mit dem Thema Schöpfung haben wir uns beschäftigt. Aber das Thema geriet zur Nebensache, wenn man bedenkt, dass bei der Kanutour mehrere Boote kenterten und nach einem Boot sogar ein Suchtrupp losgeschickt werden musste. J

Und wir hatten Gäste bei uns: Die Bestatterin Frau Cempel. Den Diakon Martin Geissler, der in Zukunft für Euch zuständig sein wird, wenn Ihr Lust habt, die Angebote wahrzunehmen, die es für Jugendliche bei uns gibt. Agnes Sander hat mit uns zu Konflikten gearbeitet: Wie kann ich reagieren, wenn ich beleidigt werde?

Soviel sei verraten: Als es darum ging, Wege aus der Beleidigung heraus zu finden, wart Ihr mindestens ebenso kreativ wie bei der Aufgabe, erst einmal die schlimmsten Beleidigungen zu sammeln, die Euch so einfallen. J

Und dann haben wir uns mit Martin Luther beschäftigt. Und in Eurem Vorstellungsgottesdienst habt Ihr das Ergebnis aus diesem Beschäftigen der Gemeinde präsentiert. Wir haben gesehen, dass man Luthers Leben nicht in 95 Sekunden erzählen kann, wie wir das eigentlich mal wollten, weil Luther ja 95 Thesen veröffentlicht hat. Fast 500 Sekunden haben wir gebraucht. Aber das passte dann ja auch wieder gut zum 500. Jubiläum der Reformation in diesem Jahr.

 

Luther wird Euch weiterhin begleiten

Zahlreiche Sprüche Luthers sind uns begegnet. Z.B. auch dieser hier:

„Lieber Ratten im Keller als Verwandte im Haus!“ Ich weiß ja nicht, welche Verwandten Luther da vor Augen hatte, aber ich denke, für Euch und für den heutigen Tag gilt dieser Spruch ganz gewiss nicht. Dann schon eher dieses Luther-Zitat: „Iss, was gar ist, trink, was klar ist, red, was wahr ist.“

Eine Lebensweisheit, die immer gilt, nicht nur für den Tag der Konfirmation. Übrigens steht sie auch auf diesen Karten, die Ihr immer fleißig mitgenommen habt. Tut das gern auch heute und gebt sie dann Euren Gästen mit. Solche Karten, aber vielmehr noch solche Sätze, sollen Euch durch Euer Leben begleiten. Ich wünsche Euch, dass es die Erfahrungen und vielleicht auch der eine oder andere Satz aus unserer Konfirmandenzeit sind, die die Zeit überdauern und die Euch begleiten werden.

Und damit Euch auch Martin Luther Euch begleiten wird, bekommt Ihr zur Feier des Tages alle einen Luther geschenkt. In der Playmobil-Version. Vielleicht das letzte Mal, dass Ihr etwas von Playmobil geschenkt bekommt?! Falls Ihr Euch schon zu alt dafür fühlt, verschenkt Ihn gern weiter. Aber ich bin schon über vierzig, und bei mir hat er auch einen Platz auf dem Regal gefunden.

Von Martin Luther wird erzählt, dass er manchmal sehr traurig war. So wie jeder Mensch manchmal traurig ist. Vielleicht war Luther auch etwas mehr traurig als die meisten anderen Menschen, denn er hatte ja kein einfaches Leben. Immer wieder wurde er angefeindet. Eine Zeit lang musste er sich sogar verstecken. Jeder hätte ihn töten dürfen, ohne dafür bestraft zu werden. Da hieß es untertauchen.

Und wenn Luther wieder einmal traurig war, dann schaute er sich einen Zettel an, den er bei sich auf dem Schreibtisch liegen hatte. Auf diesen Zettel hatte er einen Satz geschrieben. Einen Satz mit gerade einmal drei Wörtern: „Ich bin getauft.“

Und wenn er sich daran erinnerte, dann ging es ihm schon ein bisschen besser.

„Ich bin getauft.“ Und das bedeutet: Ich gehöre zu Gott. Und was mir auch passieren mag – ich kann doch niemals tiefer fallen als in Gottes Hand. Wenn die anderen auch schlecht über mich reden: Gott segnet mich. Und wenn auch keiner mit mir gehen will: Gott begleitet mich.Und wenn ich auch nicht mehr weiter weiß, weil ich weder mich noch die anderen verstehe: Gott ist bei mir. Und er versteht mich auch dann, wenn ich keine Worte mehr habe. Was auch immer kommen mag – Gott ist mit dabei. Denn: „Ich bin getauft.“ Einen solchen „Zettel“ wie Luther ihn hatte bekommt Ihr heute auch: Eure Konfirmationsurkunde: Sie erinnert Euch an den Tag Eurer Konfirmation und sie erinnert Euch an Eure Taufe. Denn das ist der eigentliche und ursprüngliche Sinn der Konfirmation: Dass wir uns daran erinnern: Wir sind getauft.

 

Welcher Jünger seid Ihr?

Vor einer Woche haben wir das Osterfest gefeiert. Da haben wir uns daran erinnert, dass der Grund unseres Glaubens der auferstandene Jesus ist. Wäre er nicht auferstanden, wären wir nicht hier – zumindest nicht als getaufte Christen. Eine Geschichte, die davon erzählt, wie die ersten Jünger dem auferstandenen Jesus begegnet sind, möchte ich Ihnen und Euch heute erzählen. D.h. ich lese sie vor.

So wie Luther sie vor fast 500 Jahren ins Deutsche übersetzt hat:

Jesus offenbarte sich abermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so: Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen:

Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr!

Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl!  Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war.

Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch die Fische.

Das ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war. (Johannes 21,1-14)

Wenn ich mir die Geschichten von Jesus und seinen Jüngern in der Bibel anschaue, dann kommt mir manche Geschichte so vor, als wären da Konfirmanden mit Jesus unterwegs gewesen. Es sind nur zwölf Jünger, aber dennoch sind da ganz unterschiedliche Typen dabei: Die zurückhaltenden, von denen man außer ihren Namen nichts erfährt. Johannes, der alles gleich versteht und den Jesus einfach lieb haben muss. Thomas, der erst mal nichts glauben kann und der alles ganz genau verstehen will. Und natürlich Petrus, der mit dem Herzen immer schnell dabei ist, der sein Herz in die Hand nimmt und der immer schon längst losgelaufen ist, während die anderen noch überlegen, ob sie denn überhaupt losgehen sollen. Petrus ist es auch dieses Mal, der die Initiative ergreift, über Bord springt und auf Jesus zu schwimmt.  In welchem Jünger erkennt Ihr Euch wieder, liebe Konfirmanden?

Welchem Jünger werdet Ihr in Eurem Leben ähnlich sein? Seid Ihr die, die sich vornehm zurückhalten? Die, die gleich alles verstehen, und die man einfach gern haben muss? Oder seid Ihr die, die erst mal nichts glauben können und die alles ganz genau verstehen wollen? Oder werdet Ihr in Eurem Leben wie Petrus sein – mit dem Herzen dabei und immer vorneweg? Nachdem Johannes Petrus gesagt hat, dass der, der da am Ufer steht, Jesus ist, gibt es für Petrus kein Halten mehr. Er taucht kopfüber ins Wasser, um der Erste zu sein, der bei Jesus ist. Und dann essen sie alle gemeinsam. So wie wir es auch oft gemacht haben. Jesus isst mit seinen Jüngern, teilt Brot und Fisch aus. Und keiner wagt es, etwas zu sagen. Vielleicht weil sie den heiligen Moment nicht zerstören wollten?! Sie wussten: Er ist es. Jesus ist wieder bei uns. Er ist auferstanden von den Toten. Was gibt es da noch zu sagen?

 

Gott hat Euch begleitet und er wird Euch weiter begleiten

Ich glaube: Auch wir können solche heiligen Momente erleben. Jeder von uns: Die, die sich zurückhalten, genauso wie die, die alles verstehen. Die, die erst mal an nichts glauben können und die, die mit dem Herzen dabei sind. Und ein bisschen steckt ohnehin von alledem in uns drin. Für uns alle gilt: Es gibt heilige Momente in jedem Leben. Augenblicke, in denen Jesus bei uns ist. Zeiten, in denen wir uns Gott ganz nahe fühlen. Momente, in den wir ganz still sind und nichts zu sagen wagen.

Weil wir den Augenblick nicht zerstören wollen. Weil wir wollen, dass er andauert.

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,

ich bin überzeugt davon, dass es solche heiligen Momente in Eurem Leben schon gegeben hat. Oft verstehen wir erst im Rückblick, was da eigentlich geschehen ist.

Aber ich glaube: Es gibt solche Momente in jedem Leben. Und ich wünsche Euch, dass Ihr in Eurem Leben viele weitere von solchen Momente erleben werdet. Gott hat Euch bis hierhin begleitet. Er wird es auch in Zukunft tun. Das hat er Euch bei Eurer Taufe versprochen. Und heute erneuert er sein Versprechen. Kommt darum nun nach vorn und empfangt Gottes Segen.

 

Bildbetrachtung am Gründonnerstag: Jacopo Bassano, Das letzte Abendmahl

Am Gründonnerstag steht in St. Michael seit einigen Jahren schon ein Bild im Zentrum des Gottesdienstes. So soll es auch heute sein. Wir sehen das Bild „Das letzte Abendmahl“ von Jacopo da Ponte, genannt Bassano (* 1510 in Bassano del Grappa; † 13. Februar 1592 ebenda) war ein italienischer Maler der Renaissance. Er lebte und arbeitete in der Republik Venedig. Aufgrund seines Geburts- und Sterbeorts, der etwa 65 km von Venedig entfernt ist, wurde ihm der Name Jacopo Bassano zugewiesen. Er malte heilige Gegenstände vorwiegend als Auftragswerke und zunächst in ähnlicher Auffassung wie sein Vater, aber in leuchtenden Farben. Gerne brachte er Tiere und allerlei Gerätschaften sowie Menschen des einfachen Volkes – teilweise barfüßig – in seine Gemälde. Seine vier Söhne pflegten mit ihm gemeinsam an den Bildern zu malen. Sie setzten seinen Malstil im darauf folgenden Jahrhundert fort. Zahlreiche Werke wurden von ihnen und auch von späteren Künstlern in fabrikartiger Weise vervielfältigt, so dass oft das Original nicht mehr festzustellen ist. Die Darstellung Bassanos erinnert an die wohl berühmteste Darstellung des letzten Abendmahls von Leonardo da Vinci. Da Vincis Bild ist gut fünfzig Jahre älter. Aber man sieht, dass seine enorme Wirkungsgeschichte, die bis heute andauert, schon damals begonnen hat.

Da Vinci hatte die Jünger nicht – wie bis dahin oft üblich – als Heilige mit entsprechendem Heiligenschein dargestellt, sondern als ganz gewöhnliche Menschen wie du und ich. Das war ungewöhnlich. Bassano folgt ihm auf diesem Weg. Auch auf diesem Bild sehen wir ganz individuelle Züge bei den Jüngern. Wahrscheinlich könnte man auch hier jedem einzelnen Jünger einen konkreten Namen zuordnen, wie das bei da Vinci möglich ist. So genau und unterschiedlich sind die Jünger dargestellt. Aber das wollen wir heute Abend nicht versuchen. Nicht bei allen Jüngern. Bassano hat aber auch seinen ganz eigenen Weg gefunden. Er hat da Vinci nicht einfach nur kopiert.

Da Vinci und mit ihm viele, viele andere Maler haben beim letzten Abendmahl diejenige Szene festgehalten, als Jesus seinen Jüngern eröffnet: „Einer von euch wird mich verraten.“ Die Jünger reagieren alle auf ganz unterschiedliche Weise darauf. Diese unterschiedlichen Reaktionen sehen wir auch hier: Zwei Jünger fangen sofort an, Jesus zu widersprechen: Die beiden Jünger vorn in rot und grün. Sie scheinen zu sagen: „Das kann doch nicht sein! Wir werden zu dir stehen. Du irrst dich.“

Andere diskutieren unter sich: „Was hat er da gesagt? Kann das sein? Einer von uns soll ihn verraten? Wie kann das sein? Und wer wird das sein?“ Sätze wie diese könnten von ihnen gesagt worden sein. Schön zu sehen sind auch die ganz unterschiedlichen Diskussionsstile der Jünger, je nachdem, ob sie eher nachdenklich oder aufbrausend sind. Oben rechts die „stille Ecke“ aus vier Jüngern. Hier geht es besonders leise zu; es scheint, als flüsterten sie miteinander. Zwei stecken die Köpfe zusammen, einer hört von außen zu, und einer beugt sich herunter, um besser mitzubekommen, was dort geredet wird. Ganz anders das Bild auf der linken Seite: Dort sind zwei Jünger in hellem Aufruhr: „Ich doch nicht!“, „Nein, das kann nicht sein! Niemals!“ Die abwehrende Geste mit der linken Hand untermalt diese Aussagen.

Besonders interessant finde ich jedoch die vier Jünger, die noch verbleiben, und natürlich Jesus selbst. Hier ist Bassano nämlich einen eigenen Weg gegangen und hat sich von seinem Vorbild Leonardo da Vinci gelöst: Beginnen wir bei Judas. Judas hat die Seite gewechselt. In vielen Darstellungen der Abendmahlsszene befindet er sich als einziger Jünger auf der anderen Tischseite. Bei Leonardo ist er an Jesu rechter Seite, zusammen mit Petrus und Johannes. Bei Bassano sitzt er links von Jesus und hat ein gelbes Gewand an (was gern als Farbe des Verrates und der Falschheit gesehen wird; wir denken auch an den gelben Judenstern). Sein rechter Arm ist verschränkt oder man könnte auch sagen: Er ist gegen Jesus gerichtet. Seine linke Hand deutet eine Geste an, die etwas ratlos, ja, fast gelangweilt wirkt: „Sollte ich es etwa sein?“ Dabei müsste er es doch am besten wissen!

Ein Jünger auf der linken Seite hat seinen ganz eigenen Weg gefunden, mit Jesu Satz „Einer von euch wird mich verraten“ umzugehen: Er nimmt einen großen Schluck aus seinem Glas. Will er seinen Frust im Alkohol ertränken? Oder muss er das Ungeheuerliche, das er gerade gehört hat, erst einmal allein für sich sacken lassen? Wie ein Weinkenner hat er die Augen geschlossen und riecht gedankenversunken am Rotwein in seinem gut gefüllten Glas.

Ganz anders der Jünger, der (von uns aus gesehen) links von Jesus steht. Der Jünger also, der aus Jesu Perspektive an seiner rechten Seite steht. Es muss Petrus sein. Auch bei Leonardo steht er dort und hat ein Messer in der Hand. Während es bei Leonardo aber noch in seiner Scheide steckt und eher ein Messer zum Brotschneiden ist, ist es bei Bassano ein offenes, scharf gewetztes Messer. Gezückt und bedrohlich. Petrus scheint zu sagen: „Ist es einer von diesen hier?“ Mit der linken Hand weist er auf die Jünger an seiner rechten Seite. Fast so, als wollte er den Verräter gleich eigenhändig umbringen. Bei Jesu Gefangennahme im Garten Gethsemane wird einer der Jünger dem Knecht des Hohepriesters mit dem Schwert ein Ohr abschlagen. Bei genauer Betrachtung des Bildes fällt aber auf, dass alle Messer, die man sieht (es sind drei), auf Jesus gerichtet sind. Er ist derjenige, der getötet werden wird. Wenn wir uns nun Jesus zuwenden, dann fällt auf, dass Jesus nicht mehr sitzt, sondern schon aufgestanden ist. Sein Kopf ist von Andeutungen eines Heiligenscheins umleuchtet und ist der höchste Punkt in diesem Gemälde. Er ist schon einen Schritt weiter. Mit seinem Körper zwar noch am Tisch, mit seinen Gedanken aber schon bei dem, was ihn erwartet. Seine rechte Hand scheint an seiner Brust zu ruhen. Vielleicht bewegt sie sich aber auch in Richtung des Kopfes von Johannes, der vor ihm sitzt. Den schwer gewordenen Kopf auf die linke Hand aufgestützt. Jesus blickt uns an. Er fordert uns zu einer Reaktion heraus. Auch wir sollen uns in irgendeiner Weise zu dem, was Jesus sagt, verhalten. „Einer von euch wird mich verraten.“ Was sagen wir dazu?

Bassano reichert die Szene mit weiteren Details an. Auch auf sie möchte ich Sie gern noch hinweisen: Es fällt auf, dass alle barfuß sind. Nun hat Bassano Menschen auch auf anderen Bildern gern barfuß gemalt. Aber bei diesem Bild erinnert die Barfüßigkeit zugleich an die Fußwaschung. Von ihr haben wir heute schon gehört. Sie ist Teil des letzten Abendmahls, obwohl nur der Evangelist Johannes von ihr berichtet. Die goldene Schüssel im Vordergrund ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass die Fußwaschung dieser Szene hier vorausgegangen sein muss. Und im Zentrum des Bildes liegt ein Apfel. Ich denke, dass er dort nicht aus Zufall liegt. Ja, nicht aus Zufall liegen kann. Nicht an dieser zentralen Stelle. Der Apfel erinnert an die Geschichte, die ganz am Anfang der Bibel erzählt wird: Die Vertreibung aus dem Paradies. Die Schlange verführt Eva. Eva verführt Adam. Und beide essen von der Frucht vom Baum der Erkenntnis. Beide werden daraufhin aus dem Paradies verbannt. Das Paradies ist verloren. Es ist zu einem unerreichbaren Ort geworden. Gleichzeitig kommt der Tod in die Welt. Alles verloren durch die Verfehlung eines einzelnen Menschen. Jesus aber nimmt diese Verfehlung auf sich. Gottes Sohn selbst nimmt sie mit sich ans Kreuz und „bezahlt“ sozusagen die offene Schuld. Er ist das Sühneopfer. Verstärkt wird dieser Opfergedanke auf diesem Bild durch Jesu linke Hand. Sie weist auf den Kopf des Passalammes, der auf dem Tisch liegt. Was durch einen Menschen verschuldet wurde, wird durch einen wieder ausgeglichen. Brot und Wein rahmen diese kleine Szene mit Apfel und Lammkopf ein.

Brot und Wein machen deutlich:

Es ist das Abendmahl, das uns seit jenem Tag an das Heilsgeschehen Gottes erinnert.

Es ist das Abendmahl, das uns seit jenem Tag mit Jesus verbindet und das auch uns in das große Heilsgeschehen Gottes mit hinein nimmt.

Predigt am Ostersonntag 2017

Das leere Grab (Mt 28)

Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot. Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat; und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen. Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder. Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.

Der „Tatort“

„Bitte weitergehen! Hier gibt es nichts zu sehen!“ Irgendwann hatte der Engel genervt das Megaphon genommen, um sich Gehör zu verschaffen. Und immer wieder forderte er die vielen Schaulustigen auf: „Bitte weitergehen! Hier gibt es nichts zu sehen!“ Zu viele waren gekommen, um sich anzuschauen, was passiert war. Die Polizei hatte das Grab mittlerweile abgesperrt. Rot-weißes Plastikband flatterte im Wind. Kriminaltechniker untersuchten den „Tatort“. Doch welche Tat war hier eigentlich geschehen? Normalerweise wurden die Kriminaltechniker ja nur gerufen, wenn ein Mord geschehen war. Doch dieses Mal ging es um das Gegenteil: Ein Toter war wieder lebendig. „Auferstanden“ sagten die Leute.Da die Geschichten, die sie erzählten, verworren klangen, untersuchte die Polizei alles ganz genau. Der riesige Stein vor dem Grab wurde auf eine geheime mechanische Rollvorrichtung hin überprüft. Die blutigen Grabtücher umgehend ins Labor geschickt. Bei den römischen Wachen, die vor dem Grab gestanden hatten, wurden Blutproben entnommen. Verdacht auf zu viel Alkohol. Einfach umgekippt waren sie. Und dann wurden Zeugen befragt. Beweise gesucht. Nach der Wahrheit geforscht. Denn irgendeine vernünftige Erklärung musste es ja schließlich geben. Was die Frauen da berichteten, konnte ja nicht sein. Auferstanden von den Toten? Das hatte es ja noch nie gegeben! Tote kommen nicht wieder. Einmal tot, immer tot. „Bitte weitergehen! Hier gibt es nichts zu sehen! Hier nicht.“ Einer huscht hinter dem Engel mit dem Megaphon dann doch hinein ins Felsengrab: Petrus. Er will es genau wissen. Er schaut sich um. Die Stelle, wo Jesus gelegen hat: Leer. Steine, muffiger Geruch, Flechten, Moose, ein paar Asseln, die unter einen Stein huschen – sonst nichts. Jesus ist nicht hier. Alles ist still im Grab. Draußen stehen die Schaulustigen. Der Engel hat Recht: Hier gibt es nichts zu sehen.

Mehr Wunder, bitte!

Nein, von Ostern ist nichts zu sehen. Die Bibel berichtet nichts darüber, wie es geschah. Sie erzählt uns nur, welche Auswirkungen es hat: Die Frauen, die sich erschrecken, die Wachen, die wie tot umfallen. Und plötzlich steht Jesus da. Aber wie es dazu gekommen ist?! Das wissen wir nicht. Wir könnten es wohl ohnehin nicht fassen. Hier gibt es nichts zu sehen…Wenn ich die Nachrichten anschaue, die Zeitung aufschlage oder im Internet bin, dann wünsche ich mir, es gäbe mehr zu sehen von Ostern. Mehr Wunder, bitte! Mehr Wunder dort, wo Terror und Gewalt den Ton angeben. Mehr vom Leben dort, wo der Tod regiert: Krieg in Syrien seit vielen Jahren; zigtausende Tote. Ermordete Christen in Ägypten. Hungersnot im Südsudan. Spannungen mit Nordkorea. Die „Mutter aller Bomben“ in Afghanistan. Von Ostern gibt es leider nichts zu sehen in den Nachrichten.

Ich will nicht einfach weitergehen

„Bitte weitergehen! Hier gibt es nichts zu sehen!“ Nein, einfach so weitergehen – das kommt nicht in Frage. Ich will nicht einfach weitergehen. Und ich will nicht, dass alles einfach immer nur so weitergeht. Immer dasselbe. Und die immer wiederkehrenden Nachrichten – nur mit wechselnden Orten; je nachdem, wo gerade wieder etwas Schlimmes passiert ist. Ich will, dass Ostern etwas verändert. Ich will, dass Ostern mich verändert. Ich möchte ein neues Herz und einen neuen Geist. Neuen Glauben, neue Hoffnung, neue Liebe. Ich möchte österlicher von diesem Ort fortgehen – so wie die Frauen damals österlicher vom Grab fortgegangen sind.

Weitergehen: Nach Galiläa. In den Alltag

Bitte weitergehen! Hier gibt es nichts zu sehen!“ Die laute Stimme ist verstummt. Der Engel spricht nicht mehr durch sein Megaphon. Er steht vor mir. Nicht mehr weiß, hell und strahlend, sondern mit Jeans, T-Shirt und wuscheligen Haaren. Wie mein Nachbar. Er schaut mich an und lächelt. Und dann sagt er: Fürchte Dich nicht! Ich weiß, dass Du Jesus suchst, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Geh weiter. Geh zurück in Deinen Alltag. Geh zurück in Dein Leben. Er wird mit Dir gehen. Nach Galiläa. Nach Syrien, in den Südsudan, nach Nordkorea und nach Ägypten. Nach Nienburg. In Dein Haus. In die Küche, ins Büro, in den Kindergarten, in die Schule. Ins Krankenhaus und auch auf den Friedhof. Dort werdet Ihr ihn sehen. Nicht da, wo es spektakulär zugeht. Nicht da, wo rot-weiß gestreiftes Absperrband im Wind flattert. Sondern da, wo Dein ganz normales Leben ist. Und ich denke an Maria von Magdala und die andere Maria. Sie sind weitergegangen. Weil es beim Grab nichts zu sehen gab. Nichts für‘s Leben. Sie sind weitergegangen. Weg vom Grab mit Furcht und großer Freude. Nach Galiläa. In den Alltag. Ins Unspektakuläre, Normale, dorthin, wo das Leben weitergeht. Dort werdet Ihr ihn sehen.

Amen

Predigt am Karfreitag 2017

Stockholm, St. Petersburg, London, Damaskus, Antwerpen, Kabul, Bagdad, Berlin, Dortmund…

Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Manche Städte kommen sogar mehrfach vor. Und ich bin fassungslos, erschüttert, ratlos. Aus der Entfernung bekomme ich alles mit. Stockholm, St. Petersburg, London, Damaskus, Antwerpen, Kabul, Bagdad, Berlin, Dortmund … Die Anschläge dort. Die Toten und Verletzten. Im Internet, im Fernsehen, in der Zeitung sind sie zu sehen und zu lesen: Die Bilder und die Berichte. Aus der Entfernung sehe ich zu. Seltsam unwirklich sind die Nachrichten manchmal. Und manchmal denke ich: Bitte nicht schon wieder! Und dann bleibt der Fernseher aus. Weil ich die Bilder nicht mehr sehen will. Weil ich nicht mehr daran will, was das heißt: Für die Kinder, die zu Waisen werden. Für die Eltern, die ihre Kinder begraben müssen. Für Familien, die auseinander gerissen werden. Für beste Freunde, für Liebespaare, für Nachbarn, ja, sogar für ganze Städte. Unvermittelt und plötzlich schlägt der Tod manchmal zu. Mitten im Alltag, mitten aus dem Nichts zersplittert das Leben. Ich kann es nicht aushalten. Die Anschläge, das sinnlose Sterben unschuldiger Menschen. Es tut weh. Ich kann die Bilder nicht mehr sehen. Ich kann die Berichte nicht mehr lesen. Den Tod aushalten, den Schmerz, die Traurigkeit. Das Unbegreifliche, dass ein Leben wirklich und endgültig zu Ende gegangen ist. Das tut weh. Das ist oft nicht auszuhalten. Der Tod relativiert alles. Nichts ist mehr so wie vorher, wenn der Tod ins Leben tritt. Ich kann aus der Entfernung zusehen. Oder abschalten, wegsehen, nicht weiter lesen. Ich kann mich verschließen, nichts mehr an mich heran lassen. Ich kann versuchen, mich zu schützen, Aber dann werde ich innen und außen kalt. Heute am Karfreitag stehe ich wieder vor einem unbegreiflichen Tod. Und ich füge meiner Liste einen weiteren Ort hinzu: Stockholm, St. Petersburg, London, Damaskus, Antwerpen, Kabul, Bagdad, Berlin, Dortmund, Golgatha…

Grausam und brutal ist der Tod auch in Golgatha. Am Kreuz hängt der, dem sie vor fünf Tagen noch Hosianna zuriefen. Für den sie ihre Kleider in den Staub legten. Am Kreuz hängt der, der allen zuhörte, auch dem Bettler, der alle sah, auch die Kinder. Der den Hunger stillte: den Hunger nach Leben und den ganz realen Hunger. Am Kreuz hängt und stirbt der, der Leben versprach. Unvermittelt und ungerecht schlägt der Tod zu. Zersplittert ist ein Leben. Ein Leben, das so viel Hoffnung ausstrahlte, ein Leben, das so viel Liebe hatte. Unbegreiflich, dass dieses Leben wirklich und endgültig zu Ende gegangen ist. Aus der Entfernung sehe ich zu. Und je länger ich hinsehe, je mehr ich hinschaue, nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Herzen, desto mehr bekomme ich eine kleine Ahnung von dem Schmerz, von der Trauer, von Ohnmacht und Wut. Ich sehe aus der Entfernung zu, aber ich sehe doch hin. Und meine Mauer aus Kälte, Wegsehen und Ignorieren bröckelt. Ich gehe zurück in meinen Alltag, denn das Leben geht ja schließlich weiter. Aber ein bisschen Hoffnung bleibt und begleitet mich. Ein bisschen Hoffnung, dass das nicht alles war. Das Leben ist zersplittert, kaputt und vorbei – aber die Splitter sind doch noch da. Ich gehe zurück in meinen Alltag mit einem Stück Hoffnung. Ich hoffe, dass ich nicht mehr allein bin – im Leben wie im Tod. Ich hoffe, dass der, der am Kreuz hängt, der den Tod kennt, bei mir ist. Und dass das nicht alles ist. Dass der Tod nicht endgültig ist. Ich gehe zurück in meinen Alltag. Allein, betroffen, traurig, ohnmächtig uns hilflos. Mit den Namen der Städte in meinem Kopf: Stockholm, St. Petersburg, London, Damaskus, Antwerpen, Kabul, Bagdad, Berlin, Dortmund, Golgatha. Aber ich nehme die Splitter des Lebens mit. Ich bin traurig, aber ich hoffe dennoch – aller Traurigkeit zum Trotz.

Amen

Versuchung Invokavit

„Versuchung“ – davon haben uns die beiden Geschichten erzählt, die wir heute gehört haben. Die Schlange führt Eva in Versuchung, Eva dann Adam. Ob der Teufel zuvor in die Schlange gefahren war? Wir wissen es nicht, aber wir können es vermuten. Denn der Teufel hat sicherlich viele Wege, die Menschen und Tiere in Versuchung zu führen, um sie so von Gott weg zu locken. Bei Jesus versucht er es dreimal.

„Versuchung“ – so hat Henning Diers dieses Bild genannt.

Lassen Sie uns die Versuchungsgeschichte noch einmal entlang gehen, und dabei Henning Diers Bild ganz genau anschauen. Diers Bild beeindruckt durch eine Fülle von Bildern. Manche entdeckt man gleich auf den ersten Blick. Für andere braucht es den zweiten oder dritten. Im Zentrum des Bildes steht eine Figur, in der man unschwer Jesus erkennen kann. Jesus beherrscht das Bild genauso wie er auch die Geschichte von seiner Versuchung beherrscht. Jede Versuchung des Teufels kontert er ohne zu zögern. Auf jedes Bibelzitat des Teufels hat Jesus sofort das passende Gegenzitat parat. Er gerät nie ernsthaft in Gefahr, einer der drei Versuchungen zu erliegen. Die drei Versuchungen hat Henning Diers auch allesamt auf diesem Bild untergebracht. Die erste erkennen wir in der unteren Hälfte des Bildes, in der Mitte.

Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.«

Deutlich sind die Steine zu erkennen, die Jesus in Brot verwandeln könnte. Sie reichen von seinen Beinen bis zu seinem Bauch. Es ist eben ein steiniger Weg, den seine Beine zu gehen haben. Die vierzig Tage bei Hitze und Hunger in der Wüste sind erst der Anfang. Und dennoch widersteht Jesu der Versuchung, seinen Bauch mit duftendem Brot zu füllen. Mit Brot, das keine so gut backen konnte wie Maria. Den Duft von Marias Brot konnte der Teufel perfekt nachahmen. Doch vergebens: Jesus ist ein harter Brocken. Der Hunger kann ihn nicht dazu bringen, seine Macht dazu einzusetzen, um es sich selber einfacher zu machen. Ein Wunder nur für sich – das hat er nie getan. Also muss der Teufel schwerere Geschütze auffahren:

Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.« Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«

Jesus steht auf der Zinne des Tempels. In Diers Bild steht er damit sich selbst auf der Schulter und blickt dabei in den Abgrund. Jesus ist also selbst der Tempel Gottes. Im Johannesevangelium finden wir eine Stelle, in der dies genauso geschildert wird. Nachdem Jesus die Händler aus dem Tempel vertrieben hatte – da fingen die Juden an und sprachen zu ihm:

Was zeigst du uns für ein Zeichen, dass du dies tun darfst? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten. Da sprachen die Juden: Dieser Tempel ist in sechsundvierzig Jahren erbaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten? Er aber redete von dem Tempel seines Leibes.

Und wir hören schon Ostern und die Verkündigung der Auferstehung mit, wenn Jesus davon spricht, dass er den Tempel in drei Tagen wieder aufrichten wird. Jesu Tod und Auferstehung werden schon jetzt mitgedacht – ganz am Anfang seiner Wirkungszeit. Denn genau da befinden wir uns, wenn wir diese Geschichte zeitlich einordnen: Ganz am Anfang, unmittelbar nach Jesu Taufe. Kaum getauft blickt Jesus in den Abgrund. In den Abgrund des Todes. Aber auch in den teuflischen Abgrund der Versuchung. Warum Gott nicht einmal beim Wort nehmen und darauf vertrauen, dass er seine Engel schon schicken wird?! Weil eben auch geschrieben steht: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.« Also muss sich der Teufel noch einmal steigern. Hunger konnte Jesus ebenso wenig von seinem Weg abbringen wie die Versuchung, Gott zu versuchen. Nun muss die ultimative Waffe her, der kaum ein Mann widerstehen kann:

Macht.

Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! denn es steht geschrieben: »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.« Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.

Die dritte Versuchung auf dem Bild von Henning Diers auszumachen, ist nicht so ganz leicht.

…alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit – wo könnten die sein? Ich denke: Man sieht sie und sieht sie doch nicht. Genau wie den Teufel, der die ganze Zeit über da ist; der es aber versteht, sich zu verstecken: „Der Teufel steckt im Detail“: ganz an den Rändern des Bildes ist seine Fratze immer und immer wieder auszumachen. Wie er Jesus seine Versuchungen leise ins Ohr flüstert, oder sie ihm laut brüllend entgegen schleudert.

…alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit – ich sehe sie in dem Gold, das über Jesus schwebt, und in dem Kasten, der Jesus umgibt wie ein goldener Käfig. Alle Reiche der Welt – sie wären ein zu enger Kasten für Jesus. Für den Sohn Gottes, der von Anbeginn der Welt bei Gott war und durch den alles geschaffen ist, wären die Reiche und der Reichtum dieser Welt wie ein Gefängnis. Sie würden ihn einengen und niederdrücken – ganz so, wie es das Gold in diesem Bild zu tun scheint. Für Gold, Herrlichkeit und Macht ist er nicht Mensch geworden. Nicht, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen.

Weg mit dir, Satan!

ist darum die einzig richtige Antwort. Vielleicht haben Sie sich mittlerweile auch gefragt, was eigentlich der Vogel auf der linken Seite des Bild soll. Ich erkenne in ihm eine weiße Taube. In der Gestalt einer Taube erscheint Gottes Heiliger Geist auf der Erde.

Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen.

Die Geschichte von Jesu Taufe geht seiner Versuchung unmittelbar voraus. Erst kommt der Geist Gottes wie eine Taube auf Jesus herab, und nur zwei Verse später heißt es dann:

Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde.

Gottes Geist ist demnach von unserer Taufe an bei uns, er erspart uns aber auch die Versuchung nicht. Ja, er führt uns sogar an Orte, an denen die Versuchung und der Versucher lauern. Aber auch in der Versuchung ist er immer da. Man muss ihn nur sehen und ihm die Hand hinhalten. »Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten«, lautet einer der berühmtesten Verse von Hilde Domin. Jesus macht hier genau das: Er hält dem Wunder, dass er allen Versuchungen des Teufels widerstehen kann, wie einem Vogel die Hand hin. Ja, er schenkt ihm sogar das Brot, das ihn selber satt gemacht hätte. Er gibt und empfängt. Er gibt Lebenskraft in Form von Brot. Und er empfängt Lebenskraft in Gestalt des Heiligen Geistes, der ihn stark macht und in der Versuchung stark bleiben lässt.

Vierzig Tage war Jesus in der Wüste.

Vierzig Tage regnete es zu Beginn der Sintflut.

Vierzig Jahre zog das Volk Israel durch die Wüste.

Vierzig Tage verbrachte Mose auf dem Berg Sinai in der Gegenwart Gottes. Und vierzig Tage betrug die Frist, die der Prophet Jona der Stadt Ninive verkündete, die durch ein Fasten und Büßen Gott bewegte, den Untergang von ihr abzuwenden.

Vierzig Tage dauert die Passionszeit. Für manchen, der versucht, in dieser Zeit auf etwas zu verzichten, wird sie sicherlich auch eine Zeit der Versuchung sein. Henning Diers Bild hat uns in diese Zeit mit hinein genommen. Möge Gottes Heiliger Geist uns gut hindurch geleiten.

Amen

P. Marco Voigt, Predigt zur Konfirmation in St. Michael 1.Petrus 2,22-25; 10. April 2016

Der 101-Jährige, der am Telefon war und gewann

Liebe Konfirmandinnen und liebe Konfirmanden, was wünscht Ihr Euch eigentlich zu Eurer Konfirmation? Habt Ihr einen großen Herzenswunsch? Oder wünscht Ihr Euch Geld, um Euch etwas Bestimmtes zu kaufen? Wer weiß, vielleicht hat ja einer Eurer Gäste ein besonderes Geschenk dabei, mit dem Ihr gar nicht gerechnet habt, und das Euch dennoch oder gerade deswegen sehr gut gefällt?!

Bei Hans jedenfalls war es so. Er hat zu seiner Konfirmation ein Buch geschenkt bekommen. Ein Buch, das ihn fasziniert hat und das er bald so gut wie auswendig konnte. In diesem Buch ging es um die Anfänge der Luftfahrt. Es handelte von tollkühnen Männern, die sich Fluggeräte bauten, und es handelte von den ersten großen Heldentaten der Fluggeschichte. Wer flog als erstes allein nonstop über den Atlantik? Von New York nach Paris? Na klar, das war Charles Lindbergh 1927 in der Spirit of St. Louis. Solche Geschichten und solche Namen konnte Hans bald auswendig. Und er wusste natürlich auch, dass Charles Rolls, Mitbegründer der legendären Automarke Rolls-Royce, ebenfalls ein passionierter Flieger war, der im Jahr 1910 als erster Mensch nonstop den Ärmelkanal hin und zurück überquerte. Hans wurde später Pastor. Er hat geheiratet und ist Vater geworden. Sein ganzes Leben lang aber blieb ihm dieses Wissen, das er sich damals durch ein geschenktes Buch zu seiner Konfirmation angeeignet hatte, erhalten.

Vor drei Wochen wurde er dann angerufen und wurde gefragt: Du, sag einmal, Vater, welcher Autobauer überquerte als erster den Ärmelkanal nonstop hin und zurück mit dem Flugzeug? Und er wusste sofort die Antwort: Charles Rolls. Hans – mit vollem Namen Hans von Seggern – lebt in Oldenburg. In diesen Tagen feiert er seinen 102. Geburtstag. Er wurde im Jahr 1929 konfirmiert. Und mit dem Wissen von damals verhalf er seinem Sohn zu 125.000 Euro – bei „Wer wird Millionär?“

Was wird bleiben?

Eine so schöne Geschichte wie diese bringt mich zum Nachdenken: Was wird Euch bleiben von Eurer Konfirmation? Wird es ein besonders wertvolles Geschenk sein, das ihr von heute an Euer ganzes Leben lang in Ehren halten werdet? Bis Ihr es einst Euren Ur-Enkeln weiterverschenkt? Zu deren Konfirmation? Oder wird es wie bei Hans von Seggern ein unverlierbares Wissen sein? Wissen, das Euch begleitet bis Ihr 102 seid? Vielleicht werdet Ihr dann ja auch angerufen, so in 88 Jahren. Oder Ihr werdet live ins Studio gebeamt – denn das ist dann ja bestimmt möglich – und Ihr werdet gefragt: Wie geht das nochmal weiter in Psalm 23: Der Herr ist mein a) Fels b) Schild c) Gott oder d) Hirte? Es geht um 125.000 … wie auch immer die Währung dann heißen mag. Schnell, nur noch zehn Sekunden: Der Herr ist mein Fels, Schild, Gott oder Hirte? –

Und dann werdet Ihr die Antwort wissen. Und hinterher stolz den Reportern sagen: Ja, das habe ich gelernt, damals in meiner Konfirmandenzeit. Und ich habe es nie vergessen.

Oder werden es die Erfahrungen sein, die Ihr in Eurer Konfirmandenzeit gemacht habt? Einmal einen Bestatter mit allen Fragen zum Thema Sterben, Tod und Beerdigung löchern können. Nachts durch ein Dorf mit einem Namen wandern, dessen Namen man noch nie gehört hat (Hanstedt I), dann gegen die Teamer bei „Schlag den Teamer“ antreten – und gewinnen! Oder zusammen mit den Pastoren bis in die Nacht „Die Werwölfe vom Düsterwald“ spielen. Auf dem Weihnachtsmarkt stehen und selbstgemachtes Gebäck für einen guten Zweck verkaufen. Oder das, was syrische und westpreußische Flüchtlinge einem aus ihrem Leben erzählt haben, in einem Gottesdienst präsentieren. Alles das und noch vieles mehr haben wir gemeinsam erlebt. Und bestimmt wird Euch einiges davon auch weiterhin in guter Erinnerung bleiben.

Das wertvollste Geschenk

Was wird Euch bleiben von Eurer Konfirmation? Ein Geschenk, gelerntes Wissen oder Erfahrungen? Oder werdet Ihr fortan anders durch’s Leben gehen? Mit einer Orientierung für’s Leben, mit Jesus Christus, der Euch ein Beispiel gegeben hat, denn: Christus hat euch ein Beispiel gegeben, damit ihr ihm in seiner Fußspur nachfolgt. So steht es in der Bibel im 1. Petrusbrief. Und weiter:

Er hat keine Schuld auf sich geladen und aus seinem Mund kam nie ein unwahres Wort. Wenn er beschimpft wurde, gab er es nicht zurück. Wenn er litt, drohte er nicht mit Vergeltung. Sondern er übergab seine Sache dem gerechten Richter. Er selbst hat unsere Sünde mit seinem eigenen Leib hinaufgetragen an das Holz. Dadurch sind wir für die Sünde tot und können für die Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr geheilt. Ihr wart wie Schafe, die sich verirrt hatten. Aber jetzt seid ihr zu eurem Hirten und Beschützer zurückgekehrt. (1. Petrus 2,22-25)

Ja, so ist es:

Christus hat euch ein Beispiel gegeben, damit ihr ihm in seiner Fußspur nachfolgt.

Und egal, wie nah zu Gott oder fern von ihm Ihr wart oder in Zukunft sein werdet – in diesem Moment seid Ihr zurückgekehrt zu eurem Hirten und Beschützer. Und Ihr werdet seinen Segen empfangen und mit ihm durch das Leben gehen, das vor Euch liegt. Alles, was Ihr dafür tun müsst, ist Ja zu sagen: Ja zu Eurer Taufe, die Euch einst in die weltweite Gemeinschaft der Christen aufgenommen hat. Ja zu Gott, der schon lange zuvor Ja zu Euch gesagt hat.

Thomas, der Zwilling

Nur Ja sagen? Das klingt so einfach und ist es doch ganz und gar nicht. Der Jünger Thomas, der Jesus jahrelang begleitet und alles erlebt hatte, was dieser sagte und tat, konnte das zunächst jedenfalls nicht. So erzählt es eine Geschichte aus der Bibel. „Nein“ hat er gesagt, „nein, ich kann Euch das einfach nicht glauben, was Ihr sagt. Ihr wollt Jesus gesehen haben?! Auferstanden von den Toten? Nein. Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich’s nicht glauben.“ Er musste den auferstandenen Jesus erst mit eigenen Augen sehen bis er endlich dem Glauben schenken konnte, was seine Freunde ihm erzählt hatten.

Ich kann Thomas gut verstehen. Er fragt erst einmal nach. Ist nicht leichtgläubig. Er macht sich lieber mal zum Außenseiter als dass er einfach nur schnell Ja und Amen zu allem sagt, was andere ihm erzählen.

Und Jesus? Als er den Jüngern schließlich noch einmal erscheint und Thomas diesmal dabei ist, reagiert Jesus sehr verständnisvoll: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas wird auch Zwilling genannt, heißt es in der Bibel. Sein Zwilling taucht allerdings nie auf. Er bleibt der geheimnisvolle Unbekannte. Ich glaube, jeder von uns könnte dieser unbekannte Zwilling von Thomas sein. Denn in seiner Skepsis gegenüber allem, was wir nicht sehen und nicht verstehen, sind wir ihm doch ziemlich ähnlich. Gut – bei WLAN stellen wir uns nicht so an – das sehen wir auch nicht und glauben trotzdem daran. Aber daneben sind wir schon oft eher skeptisch. Der Heilige Geist hat es manchmal schwer mit uns. Doch dann wieder ist er doch stark genug und hilft uns glauben zu können.

Liebe Konfirmandinnen, liebe Konfirmanden, das wünsche ich Euch an diesem Tag; das ist mein Herzenswunsch an Euch: Bewahrt Euch diesen Glauben! Bleibt offen und fragt weiter nach bei allem, was Ihr nicht versteht. Geht den Dingen auf den Grund! Geht dabei nicht leichtgläubig alles und jedem auf den Leim, sondern bewahrt Euch auch eine gesunde Skepsis! Wie Ihr an der Geschichte von Thomas seht, nimmt Gott Euch das keineswegs übel. Aber gebt dem Heiligen Geist auch immer wieder ein Chance, in Eurem Leben zu wirken. Bleibt offen für gute Erfahrungen, die Ihr in Eurem Leben mit Gott machen könnt. Und gebt dann selber irgendwann von dem Glauben, der in Euch ist, weiter, denn Christus hat euch ein Beispiel gegeben, damit ihr ihm in seiner Fußspur nachfolgt.

Amen

P. Marco Voigt, Predigt am Vorabend der Konfirmation in St. Michael 9. April 2016

Deine Anne

Am vergangenen Mittwoch wurde in St. Martin in der Innenstadt die Ausstellung „Deine Anne. Ein Mädchen schreibt Geschichte“ von unserem Landesbischof Ralf Meister eröffnet.

„Deine Anne“ – so unterschrieb Anne Frank die meisten ihrer Tagebucheinträge, die sie in ihrem Versteck in einem Hinterhaus in der Prinsengracht in Amsterdam schrieb, während sie und sieben weitere Menschen sich über 700 Tage lang vor den Nazis versteckt hielten. Anne Frank musste sich verstecken, weil sie Jüdin war. Sie und ihre Familie waren von Deutschland in die Niederlande geflohen, doch auch dort hatte sie der Krieg eingeholt. Schließlich gab es keinen anderen Ausweg mehr: Sie mussten sich verstecken.

Und Anne führte Tagebuch. Zu ihrem dreizehnten Geburtstag hatte sie es geschenkt bekommen. Nun wurde es zu ihrem besten Freund. Sie nannte ihr Tagebuch Kitty und vertraute ihm alles an. Anne schrieb sich ihre Sorgen von der Seele. Zwei Jahre lang war es ihr und den anderen nicht möglich, das kleine Versteck zu verlassen. Immer wieder kam es zu Konflikten und Streitereien – natürlich, wie sollte es auch anders sein?! Alles aufzuschreiben, hieß auch, alles los zu werden. Nach dem Krieg wollte sie ihr Buch veröffentlichen, um so bekannt zu machen, unter welchen Umständen die verfolgten Juden sich vor den Nazis verstecken mussten. Ihr Buch wurde veröffentlicht und zählt zu den meistgelesenen Büchern der Welt. Anne hat diesen Erfolg allerdings nicht mehr erlebt. Ihr Versteck wurde verraten. Alle wurden verhaftet und ins KZ gebracht. Anne starb im März 1945 im KZ Bergen-Belsen an den Folgen einer Typhus-Erkrankung. Von den acht Menschen, die sich zwei Jahre lang in einem Hinterhaus in Amsterdam versteckt hatten, überlebte einzig Annes Vater Otto. Nachdem er erfahren hatte, dass weder seine Frau noch seine beiden Töchter den Krieg überlebt hatten, erfüllte er Anne ihren Wunsch und veröffentlichte ihr Tagebuch. Ein Theaterstück und mehrere Verfilmungen – der neueste Film läuft gerade im Kino – machten das Buch, und vor allem Annes traurige Geschichte, weltberühmt. Anne Frank hat ihr Leben verloren, aber durch ihr Tagebuch hat sie ein eindringliches Zeugnis hinterlassen, das Menschen bis heute bewegt. Anne ist gestorben, aber gescheitert ist sie nicht.

Gestorben, nicht gescheitert

Neben Anne Frank kann man noch viele weitere Menschen nennen: Dietrich Bonhoeffer, Janusz Korczak, Hans und Sophie Scholl, aber natürlich auch Mahatma Gandhi oder Martin Luther King. Sie alle haben an eine bessere, eine gerechtere Welt geglaubt und haben sich mit allem, was sie hatten, dafür eingesetzt. Sie alle haben letztendlich mit ihrem Leben dafür bezahlt. Sie alle verloren ihr Leben, um anderen Menschen ihr Leben oder ihre Würde zurück zu geben. Gestorben sind sie alle, aber gescheitert sind sie nicht. Sie waren sich sehr im Klaren darüber, was sie taten und welche Konsequenzen ihr Tun für sie haben kann. Sie haben den Tod in Kauf genommen. Aber sie haben den Tod überwunden, um bedingungslos für das Leben einzustehen. Das, wofür sie standen, ist wieder auferstanden und lebt fort. Anne Frank, Dietrich Bonhoeffer, Janusz Korczak, Hans und Sophie Scholl, Mahatma Gandhi, Martin Luther King. Dank Menschen wie ihnen können wir ein Leben in Würde führen. Ein Leben, das dem Nächsten, ein Leben, das dem Leben dient.

Wenn auch dieser Tage wieder Mörderbanden unsere Welt mit Krieg, Hass und Terror überziehen, dann stehen sie auf der Seite des Todes. Sie drehen die Spirale der Gewalt weiter und weiter und wollen immer mehr Menschen in diesen Todesstrudel hineinziehen. Es liegt auch an uns, ob wir ihnen folgen oder ob wir aus der Spirale der Gewalt ausbrechen.

Menschen wie Mahatma Gandhi oder Martin Luther King haben gezeigt, dass es auch anders gehen kann. Hat ihnen die Geschichte nicht viel mehr Recht gegeben als all den Feldherren, die schon immer nach Krieg und Vergeltung schrien?!

Für Dich

Anne Frank, ein Mädchen von fünfzehn Jahren, hat durch sein Tagebuch den Stein vor dem Grab, der unsere Welt so sehr verdunkelt, ein Stück zur Seite geschoben, um das Licht des Lebens herein zu lassen. Annes Gedanken leben fort in allen Menschen, die von ihrer Geschichte hören, ihr Tagebuch lesen, den Film über sie sehen und sich anrühren lassen. Deine Anne – das ist nicht nur allein eine Unterschrift unter einen Tagebucheintrag. Es heißt auch, dass Anne uns noch heute etwas zu sagen hat, dass ihr Leben und ihr früher Tod eine Bedeutung haben für Dich und für mich. Deine Anne. Für Dich gestorben.

Christi Leib – für Dich gegeben.

Christi Blut – für Dich vergossen.

Wenn wir heute Abend miteinander das Abendmahl feiern, dann denken wir dabei auch an einen Menschen, der für das, wofür er eingestanden ist und für das, woran er geglaubt hat, sein Leben gab. Auch Jesus nahm seinen Tod in Kauf und ging seinen Weg bis zum bitteren Ende am Kreuz. Weil er an seinem letzten Abend seinen Jüngern Brot und Wein weitergab, haben wir Zeichen der Erinnerung, in denen all das drin steckt, wofür Jesus einstand. Wenn wir uns in seinem Namen versammeln, bekräftigen wir unseren Glauben daran, dass sein Tod nicht umsonst war, sondern am Ende dem Leben diente. Wenn wir miteinander das Abendmahl feiern, dann stärken wir unsere Sehnsucht nach einer Welt, in der wir alle miteinander leben können, in der keiner mehr den anderen hasst und kein Mensch den anderen tötet, weil dieser anders ist als er selbst. Im Brot und Wein stärken wir unsere Sehnsucht danach, dass Lüge, Verrat, Terror, Hass und Krieg für uns zu Fremdwörtern werden, dass alle Tränen getrocknet werden und dass wir in Frieden leben. Wenn wir Abendmahl feiern, stärken wir unseren Glauben daran, dass das Leben lebendiger ist als der Tod.

Gott gab Jesus am Ende Recht und nicht den Massen, die lauthals seinen Tod forderten. Der Stein vor seinem Grab war beiseite gerollt, um das Licht des Lebens herein zu lassen. An ihn glauben wir, auf seinen Namen sind wir getauft, und in seinem Namen versammeln wir uns heute zum Abendmahl.

Amen

Marco Voigt, Predigt zu Versen aus Johannes 11, Die Auferweckung des Lazarus, St. Michael, Nienburg, 20. September 2015, 16. Sonntag nach Trinitatis

Es lag aber einer krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf Marias und ihrer Schwester Marta. Da sandten die Schwestern zu Jesus und ließen ihm sagen:
Herr, siehe, der, den du lieb hast, liegt krank.


Zu spät
Das klingt schon fast harmlos: Der, den du lieb hast, liegt krank. Besuch‘ ihn doch mal. Heitere ihn auf. Nimm einen Strauß Blumen mit und Schokolade. Er wird sich bestimmt freuen.
Doch so harmlos ist es nicht. Die beiden Schwestern Maria und Martha wollen nicht, dass Jesus ihrem Bruder einen Höflichkeitsbesuch abstattet. Sie wenden sich aus lauter Verzweiflung an ihn. Sie hatten ihn kennenlernen dürfen, sie wussten, was Jesus alles bewirken konnte. Sie hatte ihn heilen sehen: Blinde, Taube, Lahme…
Auch ihrem Bruder würde er helfen können. Wer, wenn nicht er?!
Lazarus hatte sich nun schon wochenlang gequält. Sein Zustand war immer schlechter geworden. Nun endlich war die Verzweiflung groß genug. Marta und Maria schicken einen Bekannten zu Jesus. Er muss ihm helfen! Nur er kann es noch.
Zögern bis es zu spät ist. Zum Arzt gehen? Ach, ist doch nichts. Was allein kommt, geht auch allein wieder. Wer kennt das nicht?! Oft wollen wir die bittere Wahrheit nicht wahr haben. Weichen aus, leugnen und reden klein.
Und meistens haben wir damit ja sogar auch Recht. Die meisten Krankheiten sind nicht so schlimm. Aber manche eben doch. Und dann kann es sein, dass man zu lange gezögert hat und jede Hilfe zu spät kommt.

Als Jesus kam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grabe liegen. Betanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa eine halbe Stunde entfernt. Und viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, sie zu trösten wegen ihres Bruders.
Als Marta nun hörte, dass Jesus kommt, geht sie ihm entgegen; Maria aber blieb daheim sitzen.

Das Trauerhaus
Zu spät. Das Ziel verfehlt. Und das nicht um Haaresbreite, sondern um Kilometer. Lazarus ist tot. Schon vier lange Tage. Und seit dem Tag, an dem er gestorben ist, herrscht Ausnahmezustand bei Maria und Marta. Menschen gehen ein und aus. Die Post bringt Kondolenzbriefe. Formalitäten sind zu klären: Wie soll die Beerdigung sein? Was geschieht mit dem Erbe? Wer soll alles benachrichtigt werden?
Marta ist diejenige, der mit der Lage besser zurechtkommt als Maria. Marta kümmert sich um die, die ankommen. Sie geht ihnen entgegen. Sie hat auch den Leichenschmaus organisiert. Und all das andere Praktische. Maria war dazu nicht in der Lage. Sie wollte nicht reden. Sie wollte nichts hören. Kein „Das wird schon wieder!“. Kein „Die Zeit heilt alle Wunden.“ Tut sie nämlich nicht. Lazarus war tot und würde nicht wieder kommen. Und immer wieder ging ihr die gleiche Frage im Kopf herum: Warum war er nicht gekommen? Warum nur? Wäre er da gewesen, hätte er Lazarus bestimmt gesund gemacht. Sie hatte so sehr gebetet. Aber nichts war passiert. Marta dachte das gleiche wie Maria. Doch sie hatte die Trauer nicht stumm gemacht. Sie fasste sich ein Herz und ging Jesus entgegen, als er endlich doch kam.

Da sprach Marta zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben.
Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen.
Marta spricht zu ihm: Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird - bei der Auferstehung am Jüngsten Tage. Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das?
Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.

Spring!
Die Luft vibriert wie unter einer Hochspannungsleitung. Es liegt Vertrauen in der Luft. Und Glaube. Und Liebe. Die Luft flirrt vor großen Worten:
Ich bin die Auferstehung und das Leben. Glaubst du das?
Marta steht allein am Abgrund des Glaubens. Und Jesus will eine Entscheidung von ihr. Hier und Jetzt. Ohne Absicherung. Ohne weiter nachzudenken.
Marta breitet ihre Arme aus und springt. Beim Glauben ist jeder der erste. Jeder trifft seine Entscheidung allein. Ob Marta gewusst hat, was sie da sagt? Konnte sie die Tragweite ihrer Worte erfassen? Nein. Musste sie aber auch nicht.
Glauben heißt nicht, Gottes Geheimnisse bis auf den Grund auszukosten.
Glauben heißt vertrauen und – springen.

Es war aber eine Höhle, und ein Stein lag davor. Jesus sprach: Hebt den Stein weg! Spricht zu ihm Marta, die Schwester des Verstorbenen: Herr, er stinkt schon; denn er liegt seit vier Tagen. Jesus spricht zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?
Da hoben sie den Stein weg. Jesus aber hob seine Augen auf und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast.
Als er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen, und sein Gesicht war verhüllt mit einem Schweißtuch. Jesus spricht zu ihnen: Löst die Binden und lasst ihn gehen! Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was Jesus tat, glaubten an ihn.

Glauben wie nie zuvor
Eine Höhle, darin eine Leiche, davor ein Stein und eine trauernde Frau.
So wird es allzu bald auch bei ihm sein. Ob er das geahnt hat in diesem Moment?
In diesem Moment zwischen Leben und Tod, zwischen Hoffen und Sorgen, zwischen Glauben und Zweifeln.
Alles ist möglich in diesem Moment, wenn der Glaube größer ist als der Zweifel. Wenn das Hoffen die Oberhand behält über das Sorgen, wenn das Leben stärker ist als der Tod.
Lazarus lebt! Maria und Marta glauben zu träumen. Die Luft flirrt. Menschen liegen sich in den Armen. In diesem Moment hat keiner mehr Angst. Alles kann gut werden, wirklich alles. Der Stein der Angst ist weggerollt. Marta und Maria ist er vom Herzen gefallen. Und sie lachen und sie weinen und sie glauben wie sie es noch nie zuvor gekonnt haben – endlich.

Amen

P. Marco Voigt, Predigt am Vorabend der Konfirmation in St. Michael, 18. April 2015

Vor neun Tagen, am 9. April 2015, hätten wir den 70. Jahrestag der Zerstörung
Nienburgs begehen können. Vor siebzig Jahren ging der Krieg zu Ende, auch hier
bei uns in Niedersachsen, auch in Nienburg. Vor siebzig Jahren stand das Schicksal
der Stadt auf Messers Schneide. In der Nacht zum 8. April sprengten deutsche
Truppen auf ihrem Rückzug die Weserbrücke. Sie wollten es so den heranrückenden
englischen Truppen erschweren, über den Fluss zu kommen. Als das deutsche
Militär abgezogen war, erklärte Stadtkommandant Werner Hartmann Nienburg zur
„offenen Stadt“. Sehr wahrscheinlich hatten ihn der Bürgermeister Wilhelm Beims
und der Landrat Siegfried von Campe dazu überredet. Die beiden hatten die
aussichtslose Lage erkannt. In der schriftlichen Erklärung des Bürgermeisters heißt
es: „Nienburg ist von deutschen Truppen geräumt. Ich als Bürgermeister dieser Stadt
erkläre Nienburg zu einer offenen Stadt. Der Volkssturm ist aufgelöst, ich habe ihn in
den Ordnungsdienst übernommen, soweit die Männer freiwillig dazu bereit waren.“
Die Übergabe der Erklärung erfolgte am 9. April, mittags. In Höhe des Führser
Mühlweges in Langendamm trafen Beims, von Campe und Hartmann auf britische
Panzer. Der Chef der britischen Kampfeinheit erklärte: „Eine halbe Stunde später
hätten Sie nicht zu kommen brauchen, denn unsere Bomber sollten um 13 Uhr
gegen Nienburg fliegen!“

Eine halbe Stunde entschied über die Zerstörung oder Nicht-Zerstörung Nienburgs.
Die drei Nienburger waren gerade noch rechtzeitig gekommen; Nienburg wurde nicht
zerstört und überstand den Krieg damit fast unversehrt.
Vor neun Tagen, am 9. April 2015, haben wir des 70. Todestags von Georg Elser
gedacht. Elser war ein Tischler aus Württemberg. Genau wie der weitaus berühmtere
Dietrich Bonhoeffer starb er am 9. April 1945. Beide wurden in KZs hingerichtet, nur
einen Monat vor Kriegsende.
In diesen Wochen taucht der Name Georg Elser wieder in den Medien auf, denn es
gibt einen neuen Film über sein Leben: „Elser. Er hätte die Welt verändert“. Georg
Elser, der Tischler aus Württemberg, hatte sich vorgenommen, Hitler zu töten. Er
wollte damit den drohenden Weltkrieg verhindern. Indem er Hitler und andere
führende Nazis ermorden wollte, wollte er vielen, vielen anderen das Leben retten.
Seine Hoffnung war: Ohne Leute wie Hitler würde die Geschichte einen anderen
Verlauf nehmen. Der Krieg, der gerade begonnen hatte, würde vielleicht schnell
beendet werden und nicht ungeahnte Ausmaße annehmen.
Also baute er in monatelanger Vorbereitung eine Bombe mit einem Zeitzünder. Er
höhlte nächtelang eine Säule aus. Genau vor dieser Säule würde Hitler stehen und
eine Rede halten. So wie jedes Jahr an diesem Tag. Alle Vorbereitungen waren
perfekt. Der Plan war gut durchdacht und alles funktionierte genauso wie Elser es
geplant hatte. Nur eines hatte er nicht bedacht. Nur eines konnte er nicht in seinen
Plan einbeziehen und verändern: das Wetter. Der Abend des 8. November 1939 war
neblig. Hitler konnte nach seiner Rede nicht wie geplant sein Flugzeug nehmen,
denn das konnte wegen des Nebels nicht starten. Er musste einen Zug erreichen. So
war seine Rede ungewöhnlich kurz, sein Aufenthalt im Münchner Bürgerbräukeller
viel kürzer als sonst. Die Bombe explodierte zu der von Elser vorgesehenen Zeit um
21.20 Uhr, ganze dreizehn Minuten zu spät. Sie tötete acht Menschen und verletzte
viele weitere schwer. Keiner von ihnen war ein ranghoher Nazi. Elser wurde gefasst.
Im KZ Buchenwald wurden 21 Juden als „Vergeltungsmaßnahme“ umgebracht. Am
9. April 1945 wurde auch Georg Elser erschossen. Auch wenn die Niederlage
Deutschlands absehbar war, den Hitlerattentäter wollten die Nazis nicht überleben
lassen.

Wenn man nur auf das nüchterne Ergebnis schaut, dann ist Elser auf ganzer Linie
gescheitert. Seine Bombe verfehlte ihr eigentliches Ziel und tötete unschuldige
Menschen. In einem Racheakt wurden weitere Menschen ermordet. Schließlich
verlor er selbst sein Leben. Lange Zeit galt er noch als Verräter.
Doch irgendwann wandelte sich die Zeit. Die Menschen dachten anders als zuvor.
Und neben Stauffenberg und denjenigen, die versucht hatten, dem Hitler-Regime am
20. Juli 1944 ein Ende zu setzen, wurde auch der Name von Georg Elser genannt.
Nun sah man, dass er großen Mut besessen hatte und zu einer Zeit, als Stauffenberg
und alle anderen noch kriegsbegeistert und Hitler-Anhänger gewesen waren, bereits
etwas Richtiges erkannt hatte: Dass Hitler und alle, die ihm folgten, die Welt ins
Unglück stürzen würden. Georg Elser nahm das volle Risiko auf sich und er lud auch
Schuld auf sich. Aber er tat dies in dem festen Glauben, etwas Gutes zu tun: Großes
Unrecht beseitigen, einen Krieg schnell beenden, unzählige Menschenleben retten.
Sicher hätte er auch anders handeln können. Er hätte auch einen anderen Weg des
Widerstands einschlagen können, wie z.B. Dietrich Bonhoeffer es tat. Aber – wie der
aktuelle Filmtitel es ganz richtig sagt: „Er hätte die Welt verändert“, wenn er denn nur
Erfolg gehabt hätte.

Die drei Nienburger Beims, von Campe und Hartmann waren rechtzeitig gekommen.
Sie haben Nienburg gerettet. Ein Grund, um dankbar zu sein; auch noch siebzig
Jahre danach.

Dafür hat Jesus uns das Abendmahl geschenkt. Um zu Gott zu kommen und uns an
all das Gute zu erinnern, das uns im Leben widerfährt. Um einfach mal „Danke“ zu
sagen.

Elser kam zu spät. Seine Geschichte zeigt etwas, was für vieles im Leben gilt. Oft
denken wir: Ich habe versagt. Ich habe nichts erreicht. Oder: Ich habe das Gegenteil
von dem erreicht, was ich wollte. Ich habe andere Menschen verletzt. Es ist passiert
und nicht mehr rückgängig zu machen.
Auch dafür hat Jesus uns das Abendmahl geschenkt. Hier können wir loslassen und
abladen, was uns belastet. Hier schenkt Gott uns einen Neubeginn.
Manchmal passiert aber auch etwas ganz anderes: Dass andere das, was uns etwas
bedeutet, schlecht machen. Dass man das, wofür wir einstehen, belächelt und sagt:
Das ist doch nichts! „Warum lässt Du Dich denn konfirmieren? Doch nur, weil es
dann Geld gibt!“ Bestimmt sind Euch Konfirmanden solche Sätze in der
Vergangenheit manchmal begegnet. Und – na klar, Geld und Geschenke gehören
bei solch einem Fest auch dazu. Aber sie sind nicht das Einzige und bei weitem nicht
das Wichtigste. Eine Umfrage unter Nienburger Konfirmanden hat einmal ergeben,
dass den Jugendlichen bei ihrer Konfirmation zwei andere Sachen wichtiger sind als
Geld und Geschenke, die es nur auf Platz drei geschafft haben. Auf Platz zwei:
Das eigene Bekenntnis zum Glauben. Selber „Ja“ sagen dürfen. Selber entscheiden
dürfen, nachdem man sich die Konfirmandenzeit hindurch mit dem Glauben
beschäftigt hat. Und auf Platz eins: Gottes Segen für das weitere Leben empfangen.
Gesegnet werden.

Liebe Konfirmanden: Lasst Euch das, was Euch etwas bedeutet, nicht von anderen
schlecht machen! Haltet an dem fest, was Ihr für gut befunden habt, geht Euren Weg
im Vertrauen auf Gott! Und habt Zuversicht, dass so manches, was von anderen
schlecht gemacht oder abgelehnt wird, dennoch richtig ist. Es ist nur eine Sache der
Sichtweise. Das zeigt auch der kleine Text, der auf der Rückseite des Liedblattes
abgedruckt ist. Lassen Sie uns diesen Text einmal gemeinsam lesen:

Gottes Reich ist mitten unter uns
Tatsache ist
Dass die Kirche in der Gesellschaft nichts mehr zu sagen hat
Dass unsere Gemeinden erst älter und dann kleiner werden
Ich glaube nicht
Dass sich das Blatt doch noch wenden wird
Die Wahrheit ist
Die Kirche in Deutschland steht kurz vor dem Aus
Ich weigere mich zu glauben
Dass ich als Christ etwas tun kann
Dass Gott seine Kirche weiter bauen will
Generationen vor uns haben das schon geglaubt
Es steht doch klar vor Augen
Dass heute so viele ausbrennen
Es kann unmöglich sein
Dass das bei uns anders sein wird
Dass Gott eingreift
Ich bin überzeugt
Man kann den Lauf der Dinge nicht aufhalten
Es wäre eine Lüge, würde ich sagen
Gott kümmert sich um uns

Sehr traurig, nicht wahr? Aber eben alles eine Sache der Sichtweise. Lassen Sie uns
denselben Text noch einmal lesen. Zeile für Zeile, nur dieses Mal: Von unten nach
oben.

P. Marco Voigt, Predigt zu 1. Petrus 5,1-7 Konfirmation in St. Michael am Sonntag Miserikordias Domini, 19. April 2015

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
Hirten, überall Hirten. Und Schafe. „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“.
„Ihr wart wie die irrenden Schafe, ihr seid aber nun bekehrt zu dem Hirten und
Bischof eurer Seelen“.
„Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“
Überall tauchen heute Hirten und Schafe auf. Denn heute ist „Hirtensonntag“.
Der erste Hirte, den ich kennen gelernt habe, hieß Ziegenpeter. Er war der Freund
von Heidi, die bei ihrem Großvater, dem Almöhi, in den Schweizer Bergen wohnte.
Heidi kam damals im Ferienprogramm für Kinder im Fernsehen, und ich habe Heidi
geliebt. Meiner kleinen Tochter lese ich die Geschichten von Heidi gerade als
Pixibuch vor. Und sie mag Heidi und den Ziegenpeter heute genauso gern wie ich
damals.
Heidi und Peter – sie sind viel draußen. Zusammen passen sie hoch oben auf der
Alm auf ihre Ziegenherde auf. Manchmal verläuft sich ein kleines Zicklein. Dann
müssen sie es suchen und vielleicht sogar aus einer Felsspalte retten. Ganz schön
aufregend. Aber es geht doch immer gut. Heidi und Peter genießen die schöne Natur
und führen ein unbeschwertes Leben. Und am Abend gibt es dann ein zünftiges
Abendessen mit Ziegenmilch und Ziegenkäse beim Almöhi.
Auch in der Bibel kommen viele Hirten vor. Abraham war ein Hirte, Mose auch. Und
David natürlich. Bevor er König von Israel wurde, war auch er ein Hirte. „Der Herr ist
mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Das ist der Beginn des berühmtesten Psalms
überhaupt. Und wenn wir an Weihnachten denken – wem wurde vom Engel zuerst
verkündigt, dass Jesus geboren wurde? Richtig, den Hirten. Später wird Jesus dann
von sich sagen: „Ich bin der gute Hirte.“
An Hirten und Schafen mangelt es also wahrlich nicht in der Bibel. Damals gehörten
Hirten zum gewohnten Alltagsbild. Sie hüteten große Herden. Und selbst heute trifft
man sie in Israel noch vielerorts an. Aber hier bei uns im Mittelzentrum Nienburg an
der Weser? Da gehören Hirten nicht unbedingt zu dem, was uns täglich begegnet.
Aber ich glaube, dass wir dennoch alle so eine ungefähre Vorstellung davon haben,
was ein Hirte macht, egal ob er Schafe oder Ziegen hütet. Und egal auch, ob er das
in Israel, in der Lüneburger Heide oder auf den Weserwiesen bei Nienburg macht.
Ein Hirte ist für seine Herde verantwortlich. Er passt auf sie auf. Mittlerweile gibt es
selbst im Landkreis Nienburg wieder Wölfe, und Schafrisse kommen wieder vor.
Ein Hirte führt seine Herde von Weide zu Weide, auf grüne Aue und zum frischen
Wasser. Verirrte Schafe sucht er. Er ist dabei, wenn im Frühling die Lämmer auf die
Welt kommen. Und wenn ein Lamm von seiner Mutter verstoßen wird, dann zieht es
der Hirte mit der Flasche auf. Der Beruf des Hirten ist ein urtümlicher Beruf. Immer in
der Natur, dem Wechsel der Jahreszeiten unterworfen und ganz nah dran an den
Tieren, ihren Freuden und Leiden.
Doch wenn die Bibel voll ist von Hirten und Schafen, dann nicht, weil sie uns die
schöne Natur nahebringen will. Der Hirte und seine Schafe sind dort oft ein Bild für
Gott und seine „Schäfchen“ oder auch für die Älteren und die Jüngeren in der
Gemeinde. Hirtensonntag in St. Michael. Und Konfirmationssonntag in St. Michael.
Heute sind wir also die Schafe. Hören wir, was der 1. Petrusbrief uns mit auf den
Weg gibt:
Die Ältesten unter euch ermahne ich…: Weidet die Herde Gottes, die euch
anbefohlen ist; achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt;
nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund; nicht als Herren
über die Gemeinde, sondern als Vorbilder der Herde. So werdet ihr, wenn erscheinen
wird der Erzhirte, die unvergängliche Krone der Herrlichkeit empfangen.
Desgleichen, ihr Jüngeren, ordnet euch den Ältesten unter.
Alle aber miteinander haltet fest an der Demut; denn Gott widersteht den
Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. So demütigt euch nun unter die
gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorge werft
auf ihn; denn er sorgt für euch. (1. Petrus 5,1-7)
Konfirmationssonntag in St. Michael, und es bekommen nicht die Konfirmanden,
sondern erst einmal die Ältesten etwas gesagt. Und ich denke, da dürfen sich alle
angesprochen fühlen, die mindestens eine Generation über den Jugendlichen
stehen. Also die Eltern, Onkels und Tanten, Großeltern usw. Ganz egal, wie alt wir
sind. „Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist; achtet auf sie, nicht
gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt; ... von Herzensgrund; … als
Vorbilder der Herde.“
Haben Sie unsere Jugendlichen schon einmal so gesehen? Als Herde Gottes?
Genau das sind sie nämlich. Sie alle – neunzehn an der Zahl – sind uns anbefohlen.
Sie sind ein Geschenk auf Zeit. Für mich war es nur ein Jahr, die ich Euch begleiten
durfte, aber für Sie, liebe Eltern, Paten, Freunde und Verwandte, sind es viele Jahre.
Und in dieser Zeit gibt Gott uns auf, auf seine Herde gut aufzupassen. „Von
Herzensgrund“ und „als Vorbilder“. Das ist ein großer Auftrag. Aber auch ein sehr
schöner. Vielleicht der schönste der Welt.
„Desgleichen, ihr Jüngeren, ordnet euch den Ältesten unter.“ Natürlich darf auch ein
Wort an die Konfirmanden nicht fehlen. Aber ausgerechnet so eins?! Sich
unterzuordnen – das ist ja bestimmt so ziemlich das Uncoolste, was man mit
dreizehn oder vierzehn Jahren machen kann. Ihr wollt doch immer mehr selbst
bestimmen und Euer Leben selbst in die Hand nehmen. Wie passt das zusammen?
Ganz einfach: Zum Erwachsenwerden gehört es dazu, dass man einsieht, dass hier
und da ein Unterordnen doch gut und sinnvoll ist. Wir alle sitzen in einem Boot. Und
in einem Boot ist es sinnvoll, ja, sogar lebenswichtig, dass man auf die Anweisungen
des Steuermanns hört. Auch wenn es Spaß macht, das Boot ordentlich hin und her
zu schaukeln – wenn man es übertreibt, dann kentert das Boot und alle, die darin
sind, Junge wie Alte, gehen gemeinsam unter. Nur wenn alle zusammen halten und
die Jüngeren auf die Älteren hören, die schon viele Erfahrungen mit stürmischen
Überfahrten gemacht haben, nur dann wird die Reise gelingen.
Am Ende rät uns der 1. Petrusbrief, dass wir Gott die Rolle des Kapitäns überlassen
sollen: „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“
Ein Rat, der für uns alle gut ist, egal, ob jung oder alt, egal ob Frau oder Mann, egal,
ob Konfirmand oder nicht. Gott ist für uns da. Er begleitet uns. Er teilt mit uns alle
unsere Freuden und Sorgen. Er segnet uns.
Unter seinen Segen sollt Ihr Euch heute stellen, liebe Konfirmandinnen und
Konfirmanden. Also kommt nun nach vorn in den Altarraum, um dort Gottes Segen
zu empfangen. Amen

P. Marco Voigt, Predigt zu 1. Samuel 24,2b-20 4. Sonntag nach Trinitatis, 28.6.2015, St. Michael, Nienburg

Viel Blut ist in dieser Woche geflossen. In einer Moschee in Kuwait, in einer Fabrik in Frankreich, an einem Strand in Tunesien, in einer Kirche in den USA. Das Motiv: Hass. Jedes Mal, Hass. Hass auf diejenigen, die einer anderen Glaubensrichtung des Islam angehören. Hass auf die sogenannten Ungläubigen, von manchen gar „Feinde des Islam“ genannt, Hass auf Schwarze. Die Männer in Kuwait, Frankreich, Tunesien und den USA waren blind vor Hass. Menschen, die nicht so waren oder nicht so dachten wie sie, sprachen sie das Recht auf Leben ab. Überall auf der Welt und zu allen Zeiten töten Menschen andere Menschen, weil sie sie für ihre Feinde halten. Und oft denken sie dabei auch noch, sie würden in Gottes Auftrag handeln.

Saul wurde gesagt: Siehe, David ist in der Wüste En-Gedi. Und Saul nahm dreitausend auserlesene Männer aus ganz Israel und zog hin, David samt seinen Männern zu suchen, in Richtung auf die Steinbockfelsen. Und als er kam zu den Schafhürden am Wege, war dort eine Höhle und Saul ging hinein, um seine Füße zu decken. David aber und seine Männer saßen hinten in der Höhle. Da sprachen die Männer Davids zu ihm: Siehe, das ist der Tag, von dem der HERR zu dir gesagt hat: Siehe, ich will deinen Feind in deine Hände geben, dass du mit ihm tust, was dir gefällt.

Saul und David, einst waren sie Freunde; David hatte Goliath besiegt. Als kleiner Hirtenjunge hatte er König Saul vor einer Schlacht bewahrt, im Alleingang. Später hatte David Saul mit seinem Harfenspiel aufgemuntert und seine Depressionen geheilt. Doch irgendwann hatte Saul angefangen, in David seinen Feind zu sehen. Einer, der ihm seine Königswürde streitig machen könnte. Einen, den es galt zu töten. Darum war er aufgebrochen mit seinen Männern: Um David und die Seinen zu töten. Und nun hatte er sich in eine Höhle begeben, um zu tun, was jeder jeden Tag tun muss. Er ging zu Fuß dorthin, wo auch der Kaiser zu Fuß hingeht, und war wehrlos. In der Hand seines Feindes David. Davids Männer drängen ihn, diese einzigartige Gelegenheit auszunutzen. Und David stand auf und schnitt leise einen Zipfel vom Rock Sauls. Aber danach schlug ihm sein Herz, dass er den Zipfel vom Rock Sauls abgeschnitten hatte, und er sprach zu seinen Männern: Das lasse der HERR ferne von mir sein, dass ich das tun sollte und meine Hand legen an meinen Herrn, den Gesalbten des HERRN; denn er ist der Gesalbte des HERRN. Und David wies seine Männer von sich mit harten Worten und ließ sie sich nicht an Saul vergreifen.

David widersteht der Versuchung. Er schafft sich seinen Feind nicht so einfach vom Hals. Selbst wenn dieser ihm nach dem Leben trachtet, will David nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Er sichert sich nur einen Beweis dafür, was er durchaus hätte tun können. Sauls Leben lag in diesem Moment in Davids Hand. Doch er ließ es ihm.

Als aber Saul sich aufmachte aus der Höhle und seines Weges ging, machte sich auch David auf ihm nach und ging aus der Höhle und rief Saul nach und sprach: Mein Herr und König! Saul sah sich um. Und David neigte sein Antlitz zur Erde und fiel nieder. Und David sprach zu Saul: Warum hörst du auf das Geschwätz der Menschen, die da sagen: David sucht dein Unglück? Siehe, heute haben deine Augen gesehen, dass dich der HERR in meine Hand gegeben hat in der Höhle, und man hat mir gesagt, dass ich dich töten sollte. Aber ich habe dich verschont; denn ich dachte: Ich will meine Hand nicht an meinen Herrn legen; denn er ist der Gesalbte des HERRN. Mein Vater, sieh doch hier den Zipfel deines Rocks in meiner Hand! Dass ich den Zipfel von deinem Rock schnitt und dich nicht tötete, daran erkenne und sieh, dass meine Hände rein sind von Bosheit und Empörung. Ich habe mich nicht an dir versündigt; aber du jagst mir nach, um mir das Leben zu nehmen. Der HERR wird Richter sein zwischen mir und dir und mich an dir rächen, aber meine Hand soll dich nicht anrühren; wie man sagt nach dem alten Sprichwort: Von Bösen kommt Böses; aber meine Hand soll dich nicht anrühren. Wem zieht der König von Israel nach? Wem jagst du nach? Einem toten Hund, einem einzelnen Floh! Der HERR sei Richter und richte zwischen mir und dir und sehe darein und führe meine Sache, dass er mir Recht schaffe wider dich!

David will sich nicht zum Richter über Leben und Tod aufspielen. Er wirft sich vor seinem Feind sogar auf den Boden und hält ihm dann den Beweis entgegen: Sieh her: Ich hätte es tun können, aber ich habe dich verschont. Nicht ich bin der Richter über Leben und Tod. Gott allein steht es zu, zwischen Dir und mir zu richten. Er wird für mich und mein Recht eintreten. Die Wut hat keine Macht über David gewinnen können. Dem bösen Geist der Rache, den ihm seine Männer einflüstern wollten, hat er widerstanden.

Vorgestern hat in Charleston in den USA die Trauerfeier für die Opfer des Attentats stattgefunden, bei dem ein 21-Jähriger Weißer neun Menschen erschossen hat – allein, weil sie schwarze Hautfarbe hatten. Der Präsident der USA, Barack Obama, hat die Predigt bei dieser Trauerfeier gehalten. Er hat von Gnade gesprochen, von erstaunlicher Gnade, die Gott jenen erweist, die bei dem Attentat ums Leben gekommen sind. Und dann hat er angefangen zu singen von der erstaunlichen Gnade Gottes: Amazing Grace.

Und alle stimmten mit ein. Amazing grace, how sweet the sound, that saved a wretch like me! I once was lost, but now I’m found, was blind, but now I see. Erstaunliche Gnade, wie süß der Klang, die einen armen Sünder wie mich errettete! Ich war einst verloren, aber nun bin ich gefunden, war blind, aber nun sehe ich. Obama hat mit seinem Lied die Menschen zu Tränen gerührt. Und er hat ihnen einen Weg der Hoffnung gewiesen. Er hat nicht von Vergeltung und Rache gepredigt. Nicht davon, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Er hat von der Gnade gesprochen. Von der Gnade, die Gott uns schenkt. Gnade, die Frieden gibt und die sogar vergeben kann, wo andere nach Rache und nach Blut schreien. Wir können diese Gnade gebrauchen in diesen Tagen. Erstaunliche Gnade – Amazing Grace. Als nun David diese Worte zu Saul geredet hatte, sprach Saul: Ist das nicht deine Stimme, mein Sohn David? Und Saul erhob seine Stimme und weinte und sprach zu David: Du bist gerechter als ich, du hast mir Gutes erwiesen; ich aber habe dir Böses erwiesen. Und du hast mir heute gezeigt, wie du Gutes an mir getan hast, als mich der HERR in deine Hände gegeben hatte und du mich doch nicht getötet hast. Wo ist jemand, der seinen Feind findet und lässt ihn mit Frieden seinen Weg gehen? Der HERR vergelte dir Gutes für das, was du heute an mir getan hast!